Machbarkeitsstudie der feinen Künste

Der Versuch, mal bis zehn Uhr zu schlafen scheiterte kläglich. Punkt halb Sieben stehe ich senkrecht im Bett. Kopfkino, würde das werte Blogkollegin Sofasophia nennen. Sie spielen From Tack Till Dawn, Quentin Irgendlino in einer bescheidenen Nebenrolle, Oscar in weiter Ferne. Wenn ich ein ganz normaler Arbeiter wäre, so wie es mein Äußeres der Umwelt perfekt simuliert, hätte ich vielleicht keine Probleme. Als Chimäre der Kunst stehe ich mit einem Bein in der einfachen Welt der Produktivität, mit dem anderen in einer Etepetete-Glimmer-Glammerszene, so wie gestern, als ich um 14 Uhr über die Autobahn jagte ins Nachbarstädchen P., um als schöngeschniegelter Juror mit anderen Experten die jugendlichen Gewinner eines Kunstpreises auszuloben. Ein interessantes Erlebnis, das mein Herz jubeln machte. Irgendwie, sagte ich mir, gehörste ja doch auch hierhin, in diese Glitzerszene, Speerspitze der Kultur. Absurd, dass du auch gleichzeitig einer ganz normalen Werktätigkeit nachgehst, du solltest Abhandlungen schreiben, Laudatien halten, Beraterhonorare kassieren. Meine Augen glänzten feucht vom weichen Geld, das in der Pupille blitzte.

Nach der Jury bat der Vositzende des Nachbarkunstvereins im Nachbarstädtchen P. in eine riesige verlassene Fabrik, die man den dortigen Künstlern kostenlos überlassen hatte, und in der gerade eine Skulpturenausstellung aufgebaut wurde. Ein Ort, an dem man auf nur einer Etage zwei Tackerwerkstätten unterbringen könnte. Das Gebäude fußt auf rotem Fels, und es ist mindestens vier Stockwerke hoch. Durch den Innenhof und die riesigen Fenster wird es geradezu zerschossen von Licht. Ein Traum für die Kunst.

Auf dem kurzen Rückweg zum Auto stellte ich fest, dass die Stadt P. – welcher man nachsagt, dass dort die meisten Millionäre Deutschlands wohnen, sowie auch die höchste Krebsrate herrscht – auch über die höchste Verbotsschild-Dichte verfügt. Mit dem Mobiltelefon knipste ich mich von Einfahrt zu Einfahrt, von Ecke zu Ecke. Für wenige Stunden – die einzigen in dieser Woche – konnte sich der Künstler in mir mal wieder frei bewegen.

Jetzt zwei Tage frei. Hatte gestern davon geträumt, nichts zu tun. Eine Radeltour vielleicht, ein paar Geocaches heben, zu leben wie ein ganz normaler Mensch und nicht wie eine Chimäre der Künste. Eine Machbarkeitsstudie der Kunst gaukelt in meinem Kopf: ich habe Ansprüche, Ideen, und es sind noch zwei wichtige, größere Kunstwerke zu fertigen für das offene Atelier in zwei Wochen. Warum glauben Menschen immer, sie haben eine Chance?

Bilder: 1.- Fassade in P., 2. Parkplatzprotektionismus (in meiner langen Karriere als Sammler von Verbotsschilderfotos ist mir so etwas noch nicht untergekommen), 3. Kunstfabrik innen, 4. Kunstfabrik Blick in den Innenhof, 5. :-)

3 Antworten auf „Machbarkeitsstudie der feinen Künste“

  1. toller text!
    das mit den chancen und dem (irr)glauben an sie … hm, können wir leben ohne hoffnung?
    andere frage: wer gibt uns die chancen? wir selbst?
    erholsame, kreative tage wünsch ich dir!

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