Recht auf Müßiggang

Seit Tagen in Bern mehr oder weniger tatenlos – Kälte und Schnee laden einfach nicht ein, mit dem Fotoapparat durch die Straßen zu ziehen.

Hast ja Urlaub, beruhige ich mich.

Dennoch hätte ich gerne die Fotoserie mit Berns Straßennamenschildern weiter geführt. Gestern früh überlegte ich, nach Bethlehem (gibts tatsächlich hier) zu radeln und dort die Caspar-, Melchior- und Balthasarstraße (eine logische Schlussfolgerung aus der Existenz Bethlehems) einzufangen. Das tolle an der Straßennamenserie ist, dass sich von Stadt zu Stadt neue, teilweise bizarre Namen finden.

nur-auf-umwegen

Rings um Berns Paul Klee Zentrum tummeln sich eine Reihe seltsamer Straßennamen. Meist liegen sie in einem Wald, durchziehen einen Park an der Autobahn. Niemand wohnt dort. Es gibt keine Häuser; unvermutet steht man mitten in einem Wäldchen an einer Kreuzung, mehr Vogel Ecke Wurm am Weg etwa.

Dies und die feinen Details der Stadt, seien es auffällige Stromleitungsverlegung, Graffitys, urbaner Trash sowie auch das Sehenswerrte Brünnlein hie, Zyttglogge da, sind Thema der Fotoserie; durch alles zieht sich, genau wie im richtigen Leben die Straße, mein Hauptthema, das graue Band, das niemals endet.

Schreiberisch hinke ich. Eine Zeiterscheinung? Oder nur pure Faulheit? Zersetzung des Gehirns? Am frühen Abend vor ein paar Tagen laufen D. und ich die längste Straße der Stadt stets Richtung Westen, vorbei an einem Frisuersalon, einem Supermarkt, einem Autohaus, Ausgeburten des modernen Konsums, des Wohlgefühls, vorbei an einer dunklen bitterkalten Ecke, wo ein kleiner Punker zitternd seine Mütze in die Kälte hält und um ein paar Rappen bettelt; instinktiv greife ich in meinen Punkerseckel, jene prall mit Münzen gefüllt sein müssende Hosentasche, die mir in Berlin immer so gute Dienste geleistet hat. Aber in Bern habe ich keinen Punkerseckel, denn dort gibt es eigentlich gar keine Punker. Jedenfalls nicht in dem Ausmaß wie in Berlin, egal, der Seckel ist leer. Frierend lassen wir den Jungen zurück, doch das Gewissen mahlt und gaukelt, wohl wissend, der Kerl könnte ja auch arbeiten, will er aber nicht, also ist Betteln seine Arbeit und er soll wie alle entlohnt werden – du solltest ihm was geben – „wir sollten ihm was geben“, sage ich zu D. Sie ist der Idee gar nicht abgeneigt, obwohl, er könnte ja auch arbeiten und so weiter und so fort, schließlich kommen wir zu dem Schluss, ein nicht arbeitender Bedürftiger ist genauso bedürftig, wie ein nicht arbeiten könnender Bedürftiger und ein junger Bedürftiger ist ebenso bedürftig wie ein alter Bedürftiger und überhaupt, wir haben doch das Geld. So kratzen wir 5 Franken zusammen und ich laufe zurück. Der Junge hat sich vor die Schaufensterscheibe eines Supermarkts gestellt, zählt sein Geld, ein 0,5 Frankenstück fällt runter, als ich ihn antippe, er die Münze nimmt, sich im Kreis dreht, die Hand in die Luft reckt „Dankeeee“.

Kurzum predige ich einmal mehr das Recht auf Müßiggang.

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