Muss verrückt sein. Auto gekauft. Zeitungsjob gekündigt. Neuen Job angenommen. Kunst wieder hintangestellt. Dabei lief diese Woche der Kunst bestens. Schnuppern am Braten der Freiheit. Typen wie mir bekommt die Freiheit nicht. So leid das tun kann. Der leichte Druck, den der Lohnerwerb auf einen ausübt ist das Garn, aus dem ich meine Stoffe webe. Soeben entdecke ich bei der werten Sofasophia „Gebete als mäandrierende Wege durch die Labyrinthe der eigenen Kraft begreifen“ – weiß noch nicht, was ich damit anfangen kann, aber klingt guuut, so verdammt guut. Das muss man sich mal im Hirn zergehen lassen.

Nun hocke ich hier mit der neuen Karre und dem neuen Job, sämtliche Türen zur Vergangenheit zugeschlagen und die Kunst auch wieder beendet. Ein paar neue Bilder sind unterwegs – das Erotten-Bild einen Artikel zuvor gehört auch dazu. Das reicht aber nicht für eine Ausstellung. Das Schöne an der Kunst ist das Kunstschaffen. Man sollte gelbe und blaue und schwarze Farben bevorzugen sowie die Striche von links nach rechts ziehen.

Paar Tage her, dass Journalist F. zu Besuch war und man über die Kunst schwadronierte und ich weiß nicht wie, aber irgendwie kamen wir darauf zu sprechen, Kulturgelder zu beantragen und auf dem einsamen Gehöft ein Maislabyrinth zu bauen, in dem sich zwölf Künstlerinnen und Künstler verbergen, das Labyrinth der Meister oder der Maister? Kurzum diktierte mir Kulturorganisatorengottheit F. den Antragstext und ich kritzelte das Ganze mit B5 Bleistift fettig auf die Rückseite der Ausschreibung, immerhin 4000 Euro Zuschuss kann man beantragen – ich weiß nicht, ob ich den Antrag stelle. Dieser ewig mahlende Konflikt der Kunst. Man könnte es so leicht haben und sich im Job zurück lehnen, nichts denken, sich keine Sorgen machen.

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Neues aus der Erotten-Serie. Hier ein Sandwich aus gebrochenen Eierschalen und der Aufnahme eines verwitterten Softpornohefts.

Das örtliche Wahllokal muss erwähnt werden. Es befindet sich in einer kleinen Grundschule, an deren Außenwänden im Schulhof die Kinder allmögliches Getier gemalt haben, Elefanten, Löwen, HundKatzeMaus. Ich erinnere mich, dass ich einmal eine Kuh gemalt habe, deren Euter aus Zündkerzen bestand. Das ist lange her, ich glaube, es war mein erstes und einziges Bild, das ich in der Schule gemalt habe. Dann verließen wir die Stadt und ich kehrte erst ein viertel Jahrundert später zurück.

Dreißig Autos vor dem Wahllokal, ich der Einzige, der mit dem Radel durch die düstre Waldschlucht gekommen ist. Stelle das Fahrrad so, dass man es nicht sieht – die denken doch sonst alle, der wählt Grün, wenn sie mich mit dem Radel sehen. Sie scheinen zu tuscheln zur besten Morgengebetszeit. Im Foyer liegen einige Jacken, die von Kindern vergessen wurden, allesamt gelb und auch ein paar Schuhe stehen da, auch gelb mit blauen Schnürsenkeln. Wenn das die Wahlbeobachter der OSZE mitkriegen sind wir geliefernt. Noch während ich mich innerlich köstlich über die Gags mit dem Fahrrad und der Gesinnung und den gelben stinkenden Kinderklamotten amüsiere, fülle ich etwas linkisch den Wahlzettel aus. Bewundernswert, wie die Kollegen Wahlhelfer zu viert in dem Lokal lümmeln, stark wie ein Mittelstand; besonders gefällt mir die Frau mit den eigelben Haaren, sie prüft die Wahlbenachrichtigung und sagt: „Gelben sie den Stimmzettel bitte in die Urne bei meinem Kollegen, gleich hier rechts,“ und während ich ihr brav gehorche fügt sie hinzu, „ja, so ist es recht“ und der Kollege lockt mit den Worten; „fühlen sie sich frei, demokratisch zu wählen.“ Mir wird gelb vor Augen. Mit Mühe und Not bewahre ich die Kontenance, „nein, ich werde Euch nicht anschwärzen,“ sage ich mit hochrotem Kopf, drehe mich links um und verlasse den Schulraum. Vorbei die Zeiten, in denen man mir hier den roten Teppich ausgerollt hat. Später im tiefgrünen Wald umweltbewusst mit meinem Radel durch die Schlucht zum einsamen Gehöft hinauf ächzend, fühle ich mich müde, alt und inhaltslos wie eine Volkspartei.

Wenn die Welt im Kopf ein genauso starkes Bild ist, wie die „echte“ Welt, ist es dann nicht verkehrt, sich an den Parametern der echten Welt zu orientieren, und krampfhaft daran festzuhalten, anstatt an der Realisierung der Parameter der selbst erzeugten Welt zu arbeiten? Gefragt: blockieren einen die Vorgaben in der angeblich echten Welt zu sehr, um sich der Welt im eigenen Kopf hinreichend zuzuwenden? Oder aber: wenn du einen verwilderten Garten dein Eigen nennst und dich täglich über die Verwilderung ärgerst, tief im Innern dir aber einen gepflegten Garten vorstellst, solltest du dann nicht anfangen, dem bestehenden echten Garten mit Spaten und Hacke zu Leibe zu rücken, ihn zu roden, um deinen Traumgarten endlich wahr werden zu lassen?