Der Meister, auf immer lernend

Der Meister.
Wie viele Stunden verbringt er mit der Suche nach Erz?
Wie viele Jahre dauert es, im Innern des Geistes eine Schmiede einzurichten und einen Hochofen?
Den Prozess der Reinigung zu optimieren?
Metall und Schlacke zu trennen?

Nur noch ein kleiner Schritt, denkst du, und das Schwert ist geschmiedet.
Der Meister jedoch sagt: schmieden ist Nebensache.
Schärfen, mein Junge, das ist die Kunst.
So lernte der Meister, Erzklumpen zu schärfen.

(Vorgeblogt am 30. Mai)

Anomalien des Alltags

Dass ich nun im Amt ohne Wiederkehr arbeite, macht Sinn. An einem der ersten Arbeitstage spazierte ich vom Amt zum Bahnhof, ganz Berufspendler. Auf dem Bahnsteig beobachtete ich, wie die Züge einlaufen, Menschen ausspucken, Menschen sich einverlaiben, weiter fahren. Ein seltsames Bild unter glasiger Sonne. Gebückte Männer mit Aktentaschen verließen den Bahnhof und ich stellte mir vor, was sie alles erlebt haben mochten an diesem Tag, worauf sie sich freuten, ob ihr Leben schön ist. Dass es Ansichtssache ist, ob das eigene Leben schön ist, dämmert mir schon seit Jahren. Es ist eine Frage der Einstellung. Freude kommt von Innen. Ärger, Hass und Liebe ebenso. Die Äußerlichkeiten sind nur Ablenkungsmanöver einer pulsierenden, auf Leistung getrimmten Welt. Jener Typ im grauen Anzug, wie er die Treppe hinauf schwitzt, sich ängstlich umschaut, zur Schalterhalle läuft: was geht in ihm vor? Ist er glücklich? Mag er die Sonne auch wenn sie hinter Schleierwolken seichtes Licht versprüht?

Etwas vorschnell rekapitulierte ich meine neue Situation: wenn ich es möchte, kann ich bis zur Rente im Amt ohne Wiederkehr arbeiten. Etwa 25 Jahre. Tagein tagaus das selbe Spiel und Abwechslung gibt es nur, wenn man sie sich im Innern seiner Seele selber bastelt. Die Impulsstärke der Reize von Außen sind begrenzt. Wie viele verdrossene Männer im grauen Anzug, die ängstlich Richtung Schalterhalle laufen, werde ich in den 25 Jahren sehen? Werde ich ein Buch über Männer im grauen Anzug, die ängstlich Richtung Schalterhalle laufen, schreiben? Was verbirgt dieser oder jener Mensch?

Oder was geht in jener Frau vor, die morgens im Dörfchen L. zusteigt am Zugende, aufreizend gekleidet, mittelalt mit Stöckelschuhen, und man kann sie an ihrem aufdringlichen, billigen Parfüm schon am Geruch erkennen. Weißgott stolziert sie an allen freien Plätzen, derer gibt es genug, vorbei bis ganz nach Vorne, wo sie sich setzt, so dass jeder sie gesehen hat. Sucht sie einen Mann? Soll ich ihr einen Heiratsantrag machen? Möchte ich bis ans Lebensende dieses Parfüm riechen?

Im Anblick menschlicher Haut mögen oberflächliche Betrachter rein gar nichts erkennen. Allenfalls richtet sich ihr Blick auf markante schwarze Stellen, die lebensbedrohlich sein könnten. Dass Haut aus Poren, Falten, Flecken und Pickeln besteht ist vielleicht auch nur die verzweifelte Entdeckung des Gelangweilten, der im Gewöhnlichen, immer Daseienden, das Besondere sucht.

So wie ich derzeit verzweifelt den Alltag durchforste nach absonderlichen Feinheiten. Bass-erstaunt stelle ich fest, es klappt. Man kann das Unbekannte im Bekannten finden. Man darf sich nicht blenden lassen, alles und jedes sei entdeckt, somit ein alter Hut, langweilig, nicht bemerkenswert.

Habe ich schon seit Jahren meinen Blick auf das Alltägliche gerichtet, so werde ich es nun um so mehr tun.

„Was ist mit dem Zick-Zack-Jungen? Du hast uns diese Geschichte versprochen.“

„Zick-Zack-Junge? Ahja,“ antworte ich, „nicht vergessen, aber zuerst musste die parfümierte Frau aus L. beschrieben werden“.

Die Anomalien des Alltags zu referenzieren, dies sei meine Aufgabe.

Sei auch Du gebenedeihet

War eigentlich ’ne ganz gute Woche im Amt ohne Wiederkehr. Vor allem die süffisante Geschichtenausbeute, die sich seit ein paar Tagen verstärkt, macht mich froh. Wie schrieb ich doch heute morgen ins lederne Notizbuch: „Folge dem Alltag bis in die schmutzigsten Poren; du bist das Clerasil-Hautwasser der modernen Literatur, ein pubertierender Beobachter, wilder Reiter der Welle; wehenden Haares in den gewöhnlichen Landen, die einjeder schon huntertmal gesehen hat und von denen einjeder glaubt, er kenne sie, aber du, du bist der der die Elemente findet, die bisher alle anderen übersehen haben“.

In den trüben Stunden des Morgens neige ich dazu, mir selbst zu lobhudeln, mich zu bauchpinseln, mir mein kleines, der Langeweile anheim fallendes Leben schön zu reden. Und ich kann sagen: funktioniert prima.

Dieser Morgen war brilliant. Wetter skandinavischen Ausmaßes, unglaublich klare Luft, blauer Himmel – genau wie vorgestern, als ich den Gebenedeiten des Weizenfeldes erkannte. Wer das ist? Ich natürlich, moi meme. Man muss natürlich zu einer ganz bestimmten Stunde am Weizenfeld vorbei radeln. Das Junge Grün schimmert in der aufgehenden Sonne und der eigene Kopf muss in Konjunktion mit der Sonne stehen, also in gerader Linie zwischen Sonne und dem Acker. Dann umgibt den Schatten, den man aufs Grün wirft, ein glänzender Heiligenschein. Müsst ihr selbst mal anschauen. Die grandiose Aura umringt den Schatten, während man sich langsam strampelnd in den Mahlstrom des Pendlers einreiht.

Das wars eigentlich schon zu der Geschichte, einer der Geschichten, die ich im letzten Beitrag so schmackhaft und reißerisch angepriesen habe.

Hum? Eigentlich nix dahinter – außer, man schaut sich das tatsächlich am eigenen Leib mal an. Ist es eine optische Täuschung? Sei auch Du gebenedeihet ;-)

Sieht verdammt nach dem Spätzug aus, morgen früh zur Arbeit. Zwölf Uhr nachts ist einfach keine Zeit mehr für mich. Konnte ich während der Lohntackerei bequem bis drei Uhr lumpen und texten, weil ich tagsüber mit Handwerklichem beschäftigt war, würde ich nun auf der Arbeit einfach ins Koma fallen. Bürojobs sind einfach nichts für mich.

Aber ich darf entwarnen. Es gibt jede Menge Stories; brilliantes Zeug, das sich im ledernen Notizbuch sammelt.

Zum Beispiel: Zick-Zack-Junge oder Die Erlernung der Langsamkeit und Der Gebenedeite des Weizenackers. Dem Thema Dienstgang muss ich ein eigenes Kapitel widmen. Gegrüßt wird auch wieder regelmäßig, um Heil in die Welt zu bringen.

Problem: ich bin diesertage einfach 16 Stunden unterwegs, einerseits um zu arbeiten und den Rest verbringe ich mit Gesundheitsterminen. Ins Krankenhaus gehts auch mal wieder. Das wird ein Spaß.

Aber vorhin, da gab’s wirklichen Spaß beim Kollegen der Herzen, T. Ordentlich gegrillt.

Hum. Zick-Zack-Junge hätte ich gerne noch geschrieben. Solche Spinner trifft man nicht alle Tage und wenn solche Spinner Spinnern wie mir begegnen, entwickeln sich gar bizarre Stories. Die Geschichte verdient alle Aufmerksamkeit – und die kann ich jetzt nicht geben.

Das Schicksal will nicht, dass ich um 8 mit der Arbeit beginne. Fahrradschloss vergessen, Zug verpasst; auf halbem Berg umgedreht, zurück zum einsamen Gehöft. Sind ja immerhin 10 km, die ich täglich mit dem Radel auf dem Arbeitsweg zurück lege. Und über 100 Höhenmeter.

Besorgniserregender ist mein Rücken: er will wohl nicht, dass ich überhaupt arbeite. War vielleicht keine gute Idee, mit dem Möbelbauen aufzuhören (ich hatte den alten Job schon länger in Verdacht, eigentlich eher Rückengymnastik zu sein, denn Arbeit ;-) )