Kenndaten des Straßengrabens

Nicht nur Pfanddosen, philosophische Literatur und Autos pflastern meinen Weg, sondern insbesondere auch Menschen. So begegneten mir einst drei alte Männer mit Stock im Dörfchen K. Man könnte behaupten, das sei nichts Ungewöhnliches. Männer mit Stock gibt es zu Hauf in dieser Welt. Bemerkenswert an der Szene ist jedoch das geballte Auftreten von Männern mit Stock, unabhängig voneinander im selben Ortsteil spazierend. Wir reden hier schließlich nicht vom Rosengarten meiner Heimatstadt Z., welcher direkt gegenüber vom größten Altersheim der Gegend liegt, und somit insbesondere sonntags von zig alten Männern mit Stock überflutet wird. Neinein, wir befinden uns in einem kleinen Dorf mit 1000 Einwohnern. Nie zuvor und nie danach ist mir in K. mehr als ein Mann mit Stock begegnet.

Derjenige, der den Straßengraben intensiv beobachtet, so wie ich, weiß dessen Kenndaten, und er bemerkt schnell, wenn sich etwas nicht im Rahmen des Üblichen abspielt.

Das gestrige bemerkenswerte Erlebnis fand an einem Wanderparkplatz auf meiner Zählstrecke (siehe Beitrag zuvor) statt. Ein Gezeter und Geschrei riss mich aus meiner strampelnden Lethargie, so dass ich den Blick abwenden musste vom monotonen Grau der Teerstrecke. In der Ferne konnte ich einen Van und zwei weitere Autos auf dem Parkplatz sehen. Es dämmerte bereits. Aus dem Gezeter filterte ich zwei Kinderstimmen und eine keifende Frau. Die Emotionen schienen hoch zu kochen auf diesem Parkplatz. Langsam kurbelte ich heran. Das Geschrei nahm die Lautstärke eines Martinshorns an. Die beiden ca. 6 bis 8 Jahre alten Kinder schubsten einander herum. Die Frau, sicherlich ihre Mutter, schrie sie an, stellte sich schließlich vor das größere Kind und beugte sich darüber. Ihr Geschrei nahmn ein universelles, keifendes Geräusch im 10 Kiloherzbereich an, so dass es mir unmöglich war, auch nur ein Wort zu verstehen. Wie eine Glocke stülpte sie sich über den eingeschüchterten Steppke und brüllte eine Tirade Schimpfworte. Wie ein Gletscherlauf, der einen einzelnen Felsen in der südlichen Ebene Islands umströmt und ihn mit aller Gewalt kleiner, kleiner und kleiner malmt, bis er ganz verschwindet, drohte das riesige Monstrum das Kind zu verschlingen.

Das, meine Lieben, ist das Modernste vom Modernen auf dem Erziehungssektor: ein sechskanal Hochleistungsakustiksystem, welches mit der Gewalt von 100.000 Watt selbst die hartnäckigsten Kinder zu bändigen weiß. Mutty-Surround 5.1.

Nein, ich habe mich nicht eingemischt – sonst säße ich jetzt nicht hier.

Im abschwellenden Lärmpegel ging ich auf autistische Weise meinem täglichen Zählspiel nach: 61, 62, 63 Autos, die mich überholen und 140 Cent Pfand im erdigen Schmutz des Grabens – der Verkehr nimmt zu und der Wert des Straßengrabens ebenso.

(Mutty-Surround ist mir erst heute Morgen eingefallen, als ich den Parkplatz erneut passierte. Hieran erkennt man, dass die Verwirklichung des Abstrusen auf gebetsmühlenhafter Widerholung beruht; Gedanken formieren sich aus den alltäglichen Splittern an Information; scheinbar nicht Zusammenhängendes wird über die Zeit des wieder und wieder Erlebens, des neu Betrachtens und anders Beleuchtens in Zusammenhang gebracht – Mutty Surround ist hierbei nur ein lustiges Beispiel für diese meine Gedankentechnik der Assimilation von Straßenszenen. Jeder Holzstapel, jeder krumme Baum und jeder Gutenmorgenmensch, der einem begegnet, könnte Auslöser für Gedanken auf einer Metaebene sein. Mein Motto lautet: lerne die Kenndaten des Straßengrabens und generiere aus den Abweichungen das alltäglich Abstruse, welches ein großes Buch füllen wird).

After-Work-Zahlenmystik

Um mir die Zeit zu verdulden, zähle ich auf dem Heimweg sämtliche Autos, die mich auf dem steilen Stück zwischen Dorf K. und dem einsamen Gehöft überholen. Nach etwa 300 Tagen mit dem Fahrrad diese Strecke hinauf, habe ich ein filigranes Maß entwickelt; habe gar insgeheim eine kleine Statistik angelegt. Die existiert aber nur im Kopf. Wenn ich mich an einer bestimmten Stelle des Weges befinde zu einer bestimmten Tageszeit, sagen wir um 18 Uhr auf halber Strecke, dort wo die Stromleitung die Straße kreuzt, kann ich mit ziemlicher Treffsicherheit sagen, wieviele Autos mich überholt haben werden.

Das Leben fließt in stetigem, unaufhaltsamem Strom und es hält grundsätzlich keine Überraschungen bereit.

Sieht man einmal davon ab, dass man manchmal mit dem Fund eines Exemplars von Kants Metaphysik der Sitten belohnt wird.

Die Tage gleichen sich wie ein Ei dem anderen, aber wer je zwei Eier genau betrachtet hat, wird wissen, dass es oft die feinen Unterschiede sind, die das Besondere vom Nichtigen scheiden.

Wie oft ich dieses Mathematikspiel, Autos zählen schon gespielt habe. Heute nahm es eine neue Dimension an: Höhere Mathematik. Mit der einen Hälfte meines Hirns zählte ich wie üblich die Autos; 12 bis zum Ortsschild von K.. Mit der anderen Hirnhälfte addierte ich den Wert der Pfanddosen  im Straßengraben. So pendelte das Zahlenwerk in meinem Schädel: 12 Autos, 25 Cent, 33 Cent, 12 Autos, 13 Autos, 14, 15 Autos … da, eine Wasserflasche, 33-plus-25-gleich 58 Cent … 27, 28, wow 29 Autos – „hey, das ist gut“, murmelte ich, „genau doppelt so viel Cent wie Autos“. Welch mystisches Spiel am Abend. Tollkühn überlegte ich, dass ich noch weiteres, Mess- und Zählbares in mein Spiel aufnehmen könnte: der Puls böte sich an, sowie die Anzahl der Krähen auf der Hochspannungsleitung, welche auf halber Strecke die Straße überspannt.

Am Ende meines Weges kam ich zur Vernunft: 74 Cent und 47 Autos (nicht gelogen!). Verblüffend!

Fazit – viele offene Fragen: Warum mache ich das? Warum zählt der Mensch? Wer hat’s erfunden? Gibt es einen Sinn? Sollte ich das alles nicht besser verschweigen, um einer Einlieferung in die Irrenanstalt aufgrund skurrilen, nicht angemessenen Verhaltens zu entgehen?

Kornkreise und CC-Lizenz

Da hatte ich mal wieder eine Superidee: Kaufst ’ne Flasche Schnaps, echten Korn, und drappierst außenrum einen Kreis aus Gläsern. So bastelst du dir ruckzuck deinen eigenen, mystischen Kornkreis (ohne die Landwirtschaft zu schädigen). Zum Glück kam mir vorher der Gedanke, im Netz zu suchen, ob das nicht schon jemand getan hat, et voila: http://www.steiniges.net/ seit fünf Jahren im Netz zur Realität geworden: der Kornkreis mit Hochprozentigem.

Das lässt widerum eine kleine Philosophie zu, wonach das Naheliegende oft so nahe liegt, dass hunderte von Händen danach greifen können.

Wem gehören Ideen?

Meine These: Ideen sollten zur Weiterentwicklung grundsätzlich frei ins Netz gestellt werden. Am obigen Kornkreisbeispiel ließe sich etwa der Bildaufbau verbessern. Gute Fotografen (aber ohne Idee) könnten das Bild in ihrem Studio sicher perfekt umsetzen.

Bräche uns nicht grundsätzlich die Sucht, Geld zu verdienen die Beine, könnten wir Menschen es durch mosaikhafte Zusammentüftelei von Ideen und Möglichkeiten sicher viel weiter bringen, als mit der Restriktion: Ich hatte diese Idee und ich darf sie als Einziger ausbeuten.

Einen interessanten Ansatz hierzu bildet die Open Source Bewegung, welche die Quellen von Software für alle verfügbar offen legt, so dass, wie bei dem Betriebssystem Linux zum Beispiel, 10.000e von Entwicklern gemeinsam an einer großen Sache arbeiten. Im Gegensatz zu proprietären (besitzergreifenden) Projekten anderer Betriebssysteme, ist es gelungen, auch ohne finanzielle Ausbeutung ein sehr gut nutzbares Betriebssystem auf die Beine zu stellen.

Die freie Verfügbarkeit von Wissen bringt die Gesamtheit besser voran, als die Restriktion und die Geheimhaltung.

Für Kunstprodukte, Bilder, Musik und Schreibwerke gibt es die Creative Commons License. Hierbei bleibt das Urheberrecht natürlich unberührt, aber Ideen dürfen augegriffen, verbessert und abgewandelt werden zum Wohl der Allgemeinheit.

Realität – ein Annäherungsversuch

Anhand der Bierflasche neben mir auf dem Schreibtisch kann ich mich ja mal ein bisschen warm schreiben zum Thema Realität. Ich plane nämlich ein surreales Projekt. Wer Surreales ausdrücken will, muss sich zunächst mit dem Greifbaren beschäftigen. Zurück zur Bierflasche. Die existiert nämlich nur, weil direkt daneben der Laptop steht, von dem sie sich abhebt. Man könnte sagen, der Laptop ist ein Schatten der Bierflasche, eine Art Halo, die das Ding umgibt. Der Halo aus vielen Nicht-Bierflaschen, Gegenständen wie Bleistifte, Gläser, Landkarten, benutzte Tempos und mobile Festplatten; der Halo sorgt dafür, dass die Bierflasche Wirklichkeit wird. So ist das mit jedem Ding, das uns vor Augen kommt. Dinge sind nur deshalb wirklich, weil sie von anderen Dingen umgeben sind, die sich von ihnen unterscheiden.

Je mehr ich über die Bierflasche nachdenke, desto unheimlicher wird sie mir. Sie hat schon starke Abnutzungserscheinungen von der Flaschenreinigung. Die ehemals bräunlich glänzende Oberfläche ist gezeichnet von zwei hellen, stumpfen Streifen. Wer weiß, in wie vielen Händen die Flasche schon war, wie oft sie wieder gefüllt wurde und wer schon alles aus ihr getrunken hat, ehe sie hier bei mir Realität wurde? Bestimmt hat schonmal jemand reingepinkelt, nachts, als er betrunken im Bett lag und zu faul war, aufzustehen.

Was gäbe ich darum, wenn ich auf einer Google-Karte einen Kreislauf dieser Flasche angezeigt bekäme. Vermutlich war sie einmal in Bayern bei einem bärtigen Öhi und auch in Schleswig-Holstein, ich nehme einen Schluck. Irgendwie kommt mir die Flasche bekannt vor. Vielleicht hatte ich sie selbst schon einmal in der Hand? Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, eine Pfandflasche zweimal zu kaufen?

Richtig unheimlich wird mir, wenn ich über die Moleküle nachdenke, aus denen die Flasche besteht. Geschmolzner Sand von fernem Strand. Ich nehme einen Schluck, atme tief ein, Luft, die schon in anderen Lungen war, ja: verunreinigte Luft voller Moleküle, vermutlich auch Moleküle, die einst in einem anderen Menschen existierten. Das Herzmolekül von Sokrates womöglich, ein Atom aus Goethes Faust sowie ein Riesenmolekül von Schillers Glocke (ich meine nicht die Ballade). Wenn es nur das ist. Aber schlimm wäre, wenn mein Körper aus den atomaren Überresten von Despoten besteht. Auszuschließen ist das nicht.

Hum? Nun wollte ich eigentlich über Realität schreiben, aber was dabei rauskommt, klingt doch ziemlich verrückt, oder?

Ich nehme einen Schluck.

Männerparadies am Rosenmontag

Zusammen mit Journalist F. und Kollege T. heute erfolgreich dem Narrentummel getrotzt.

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Auf dem Parkplatz

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speyer-boeingIm Außengelände schon von weitem sichtbar: Boeing 747, begehbar auch auf den Tragflächen, sowie mit Riesenrutsche zwecks Kinderspaß ausgestattet.

speyer-buranNeu seit 2008: die russische Weltraumfähre Buran (Wintersturm) in einer eigens gebauten Halle. Das Ding ist riesig. Leider darf man nur in den Heckkraum reinschauen, welcher voller Schläuche, Kabel und Röhren steckt.