Ich weiß, was du letztes Endspiel getan hast

Mal wieder Zeitungsschreiben angesagt. Musikkritik ist das zwar nicht, aber wer kritisiert schon Musik im Zeitalter von Endspiel?

Titelvorschlag: Gute Unterhaltung im Vorfeld öffentlichen Guckens

Untertitelvorschlag: Crime&Passion auf Parforce-Ritt zwischen Mainz und Zweibrücken

 

Dem ehemaligen Außenminister Hans-Dietrich Genscher sagte man einst scherzeshalber nach, er eile so schnell von Termin zu Termin, dass er, per Flugzeug den Atlantik überquerend, sich selbst begegne.

Nicht unwahrscheinlich also, dass sich die westpfälzische Formation Crime&Passion am gestrigen Finalspielsonntag selbst auf der A6 nähe Kaiserslautern begegnet ist. Verzeichnet doch die proppenvolle Auftrittsliste ihrer Internetseite gleich zwei Auftritte an diesem Tag: um 13 Uhr zur Saisoneröffnung der bundesländischen Fußballelf Mainz 05 auf der SWR1-Bühne im Mainzer Bruchwegstadion, sowie ab 18 Uhr auf der öffentlichen Fußballschaubühne hinter dem Zweibrücker Alexanderplatz.

Tatsache ist, dass Crime&Passion alias Mark Schlick und Donald John (DJ) Elesky ab 18 Uhr den stetig anschwellenden Strom öffentlicher Fußballgucker mit ihren beiden Akustik-Gitarren in den EM-Finalabend begleiteten. Schnell füllte sich der Platz, so dass ab halb sieben sämtliche Tische vor der kleinen Bühne besetzt waren und man Mühe hatte, die paar Stufen in die Vertiefung neben der Alexanderkirche hinabzusteigen, da auch die Treppenstufen bereitwillig als mehr oder weniger bequeme Sitzplätze entdeckt wurden.

Das Tummeln aus Schwarz-Rot-Gold hatte es zunächst schwer, mit Fangesängen gegen gut gecoverte Hits von Iggy Pop, den Rolling Stones oder U2 anzukämpfen. Nur vereinzelt bildeten sich zumeist jugendlich männliche Ringe hüpfend hinter Bierständen, die die Hoffnung auf den Meistertitel unplugged Richtung Bühne grölten.

Übertönt von – zum Beispiel – einer Crime&Passion-Hommage in die österreichischen Fußballberge, Falcos Megahit Amadeus. Die beiden Gitarreros – man verzeihe die spanische Schreibweise – sind seit spätestens 2006 beim öffentlichen Gucken (Public Viewing) auf dem Zweibrücker DOZ hocherprobt, bei Fußballevents mit gut gecoverten, oft eigenwilligen Manipulationen bekannter Stimmungslieder das Publikum anzuheizen. Was nicht heißt, dass sie nicht auch eigene Lieder schreiben. Zwei Alben sind mittlerweile auf dem Markt mit ihren Eigenkompositionen.

Aber das Einfache und vor allem Bekannte siegt natürlich grundsätzlich über das Komplizierte.

Ohrwürmern von Melissa Etheridge und den Ärzten, die einjeder mitsingen kann, schürten die Stimmung.

Ein kurzer Blick in das öffentliche Guckzelt auf dem Schlossplatz sei gestattet. Dort rollten gegen 19:25 Uhr auf der Beamerleinwand die Busse der beiden duellierenden Nationalelfs ein. Schnitt ins Studio zu den Fachinterviews, untermalt von den Megafonen der Zweibrücker Fans und ihren Gesängen. Das Zurück zum Alexanderplatz durch Mühlengasse und Hauptstraße vorbei an der Löwengasse bot ein fußballfeindliches Bild: ein nachdenklicher Radler lehnt meditierend an einem Baum. Geradezu ignorant murmelt der bronzene Brunnen Ecke Löwengasse sein leises mantrisches Spiel. Erst im Sog vorbei an einem weiteren Café voller Fußballdesinteresse kommt wieder EM-Fieber auf – alles was schwarz-rot gelb markiert ist, strebt nur in diese eine Richtung, um lauter lauter lauter werdend Crime&Passions Version von U2s „I still haven’t found, what I’m looking for“ (frei übersetzt: Ich habe immer noch nicht gefunden, wonach ich gucke) zu lauschen. Leider leider leider müssen wir wohl noch vier Jahre warten, um den Titel zu gucken.

Crime&Passion tritt jedoch schon am 5. Juli ab 20:30 Uhr im Festzelt Großsteinhausen wieder auf.

PS: Ich bin gespannt, was der Redakteur aus dieser Steilvorlage macht ;-)

Die Probleme der Anderen sind unsere Probleme

Einmal dachte ich, die Probleme der Anderen seien die Probleme der Anderen. Ist noch gar nicht lange her, dass ich es in diesem Blog geschrieben habe. Welch naive Weltsicht!

Nun stelle ich fest, dass dieses Gesetz nur gilt, wenn ich ich bin und du du bist und die Anderen die Anderen sind. Wenn ich und du aber wir sind, dann ist es nicht weit hin, dass wir die Anderen sind, denn andere Ichs und andere Dus sind andere Andere. Deshalb werden wir zu Anderen in den Augen anderer Anderer. Und umgekehrt. Somit sind die Probleme der Anderen unsere Probleme.

Die Gesellschaft, von Konflikten durchsickert

Ein sonniger Samstagnachmittag. Ich lehne neben der Eingangstür von Lidl und überlege, ob ich Kaffee kaufe oder Brot und Butter. Beobachte das Treiben auf dem Parkplatz. Autos kommen, Menschen steigen aus, ziehen am Einkaufswagenschalter einen Einkaufswagen, verschwinden im Markt, Menschen quellen mit vollem Wagen durch die Schiebetür, verstauen ihren Einkauf im Kofferraum, Autos fahren wieder. Nichts ungewöhnliches an dieser Szene? Doch in mir tickt das Sensibel-Barometer, ich schaue genauer hin. Ein kurzgeschorener Typ rast mit Tempo 50 auf den Parkplatz, knallt die Tür zu, jemand schimpft, der Kurzgeschorene mault und verschwindet im Markt. Ein älteres Paar steht in der Einkaufswagenausgabe, zieht einen Wagen, in dem ein bisschen Müll liegt. Die Frau greift den Müll, wirft ihn auf den Boden: „Sauerei sowas, dass die Menschen keine Ordnung halten können.“ Nur zwei Meter weiter steht ein großer, leerer Mülleimer. Kleinlaut sagt ihr Gatte: „Das hättest du in den Mülleimer werfen können.“ „Wieso? Ich hab das nicht da rein getan.“ Nun fährt ein ähnliches Pärchen an, mitte 50, korpulent, alte Karre. Aus dem Kofferraum und dem Fußraum kramen sie an die 50 Pfandflaschen. Der Mann legt eine davon aufs Dach. Die Frau verstaut die Dinger im Einkaufswagen. Mieslaunig wirft der Mann die Flasche vom Dach quer übers Auto. Schlecht gezielt landet sie auf dem Boden. „Du hast was vergessen,“ sagt der Mann mürrisch. Die Frau bückt sich: „Nächstes Mal hebst du das selber auf.“ Geladen verschwinden sie im Markt.

Ich diagnostiziere schlechte Stimmung, kalkuliere die fünf Minuten samstagnachmittags als Mieslauneminuten, als Minuten, in denen etwas nicht stimmt mit den Menschen und zwischen den Menschen, mache eine Schätzung: Wieviele Supermärkte dieser Art gibt es in Deutschland , sagen wir 15000. Multipliziere 15000 mal 5 Minuten Konfliktsituationen und komme auf ein kumuliertes Mittel von 52 Tagen Mieselaune. In nur fünf Minuten!

Ein beachtlicher Wert.

Alles spielte sich vor einem von vier großen Lebensmitteldiscountern in der Stadt Z. ab. 52 Tage Mieselaune, Konflikt, Beleidigung, Wut, unterdrückter Hass.

Die Sonne schien. Ein wunderbarer Tag. Die Menschen sollten glücklich sein, sie sollten einander lieben, sie sollten sich gegenseitig loben und ihre Selbstwertgefühle steigern, dachte ich.

Und was tun sie? Sie maulen, sie treten, sie schinden, sie malen schwarz, pflegen Hass in dem feinen Gewebe, Teil dessen sie sind.

Es wird keinen Krieg mehr geben. Der Krieg ist wie Pilz in einem feuchten Schwamm namens Gesellschaft.

Wie es hier aussieht

Okay. Der Sommer ist heiß. Ich arbeite in einem Zelt, etwa sieben bis neun Stunden am Tag. Täglich radele ich zur Arbeit. 15 km hin und 15 km zurück. Zwei Stunden Sport sind also in meinem Lohnsteuerklasseeins-Wohlfühl-Paket gleich mitgebucht. Als Radler kommt man grundsätzlich ultraentspannt nach Hause, besonders, wenn man an dem malerischen Kneippbecken, nur einen Kilometer vor der eigenen Haustür eine kleine Rast einlegt.

Zu Hause brodelt die Galerie. Ich habe Bilder aufgestellt. Erinnerungen an meine alten Zeiten als Künstler. Ich bin nostalgisch. Manchmal kommt die Band vorbei, welcher ich einen Proberaum vermietet habe und sie spielen schönen Rockreggae, deutschsprachig und mit einem kapitalen Bläsertrio (Sax, Posaune, Trompete und ein bisschen Querflöte).

Die Bude sieht mehr denn je aus wie eine Baustelle. Aber sie wird deshalb auch von Tag zu Tag cooler. Gestern habe ich Kollegen T. und W. eingeladen unter dem Vorwand, ich schenke Weizenbier aus. Sie halfen mir beim Ausbau der Freilandküche unter dem Vordach auf der Südterrasse. Wow. Das hat mal wieder nen Ruck gegeben. 10 qm Boden verlegt und alles vorbereitet, um endlich wohnlich einzuziehen, da draußen, drunten, im Süden, mit direktem Blick in den Garten.

Es ist schon seltsam: je mehr du denkst, du versinkst im Chaos, desto mehr musst du Ruhe bewahren und wenn das gelingt, dann hasten prima Leben.

Außerdem heute: Webdesignauftrag klargemacht und zwei Kisten Weizenbier gekauft, damit die Kollegen T. und W. auch weiterhin helfen ;-)

Ein Öffentliches Gucken musste ich übrigens installieren, damit die beiden mit die Treue halten: Fernseher auf Brett an unverputzter Hauswand unter Nussbaum – ultrastylisch, sage ich Euch …

PS: der Künstler in mir ist zwar derzeit lahmgelegt, aber wenn ich meine Bude und das Drumherum anschaue – normal ist das nicht – wer in solchen Umständen lebt, kann eigentlich nur Künstler sein.