Ihre Bedenken sind ihre Bedenken

Die Welt ist im Kopf. In Deinem und Deinem und auch in meinem. Kein Wunder, dass die Welten differieren. Dass man manchmal fassungslos vor einem Menschen steht und denkt: wie kannst du nur? Unfassbares füllt den Raum zwischen unseren Realitäten. Warum wir einander manchmal trotzdem näher kommen, uns befreunden, verlieben, aufeinander einlassen ist mir ein Rätsel. Vermutlich ist es die gute alte Neugier, die uns dazu treibt.

Heute mit Künstlerin A. telefoniert. Das Gespräch mäandrierte um Kunst und was man so alles machen könnte, um schließlich in Island zu enden, wo wir beide Anfang der 90er Jahre tourten – sie per Ente (legendärer 2CV von Citroen) und ich per Radel (nein, wir haben uns nicht getroffen dort). Als sie es erwähnte, war sofort eine gewisse Verbundenheit da und vor allem das Gefühl, das eigene Leben ist richtig. Menschen fahren nicht einfach so nach Island, vor allem nicht per 2CV oder Fahrrad.

So verkorkst es vielleicht scheinen mag. Aber uns Künstler kann man partout nicht mit den Maßstäben des Gutbürgertums messen. Wir stehen jenseits von Grenzen, an die sich andere nicht im Geringsten heran trauen. Deshalb ist es richtig. Ich erinnere mich, mit der geliebten I. spazierend zwischen dem Vatna- und Myrdalsjökull im dichtesten Nebel den Weg zu suchen. Zwischen den beiden größten Gletschern Islands gibt es einen, im Sommer begehbaren Trail, der in 100 m Abständen kreuz und quer durch Schneefelder mit Pfosten markiert ist. Im Nebel, damals im August 1992 konnten wir verflixt nicht vom einen bis zum nächsten Pfosten schauen. Also blieb immer einer von uns beim letzten Posten zurück. Der andere suchte den folgenden Pfosten. Stets „piep“ rufend, „hier bin ich“, bewegten wir uns Meter um Meter bis zur Schutzhütte zwischen den Gletschern. Nur so konnten wir überleben.

In gemeinsamer Arbeit bauten wir den Weg, den wir zuvor in Karten zurecht gedacht hatten. Mulmig wars allemal. Aber nach vier Tagen und 70 Kilometern durch die Einöde den 60 Meter hohen Skogarfoss an der Südküste der Atlantikinsel zu erreichen, war eine große Sache.

Seither ist die Welt, meine Welt, in meinem Kopf.

Zurück aufs einsame Gehöft. Ich erfreue mich an den staunenden Augen derer, die noch vor Kurzem die neue Galerie als Kuhstall gebookmarkt hatten. Niemand konnte sich vorstellen, was ich aus dem Raum machen werde. Dass es wahr wurde ist einigen Wundern und viel energischen Beharrens zu verdanken.

Kurzgeschlossen auf das Künstlerleben könnte man formulieren: bleib bloß nicht stehen, auch wenn der Nebel noch so dicht (Stillstand bei dichtem Nebel produziert nichts anderes als einen Kuhstall aus einem Kuhstall – weitergehen macht Galerie). Der Weg ist wohlmarkiert in deinem Innern, kümmere dich nicht, was in anderen Köpfen vorgeht. Ihre Bedenken sind ihre Bedenken. Dein Ziel ist der nächste Pfosten, versteckt im Weiß des Nebels, der dich umgibt.

Zurück zu Künstlerin A. Nein, da besteht kein auch irgend geartetes Begehren. Sie ist glücklich verheiratet. Wir sind einfach nur spirituell vereint (wie B. das im Kommentar unter „Ich sah den Busen …“ sinngemäß ausdrückt).

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