Abschaum schwimmt oben

Schweißgebadet aufgewacht, weil die Managergehälter in den letzten Jahren um 30 Prozent gestiegen sind. Fröstelnde herbstkalte Bude. Ich ziehe das luxuriöse Moskitonetz auseinander, pinkele vom Balkon. Erstmal runterkommen von diesem Alptrip.

Puuuh, kannst ja jetzt auch nix mehr anfangen mit der Nacht. Sich wieder hinlegen hieße hin und her wälzen, schlafen bis in die Puppen und es gibt doch noch so viel zu tun.

Da kommen mir die Zahlen wieder in den Sinn aus diesem Bericht, den ich abends geschaut habe: Managergehälter stiegen um 30 Prozent, Angestelltengehälter sagen wir mal um zehn. So genau weiß ich das nicht mehr. Spielt auch keine Rolle. Fabuliere eine Formel während ich Kaffee koche. Zehn Prozent von 2000 Euro sind satte 200 Euro. Nur damit man sich das besser vorstellen kann: das ist eine Zwei mit zwei Nullen dahinter. Von 1,9 Millionen Euro wären 30 Prozent 570000 Euro, also eine Siebenundfünfzigtausend mit nur einer Null dahinter.

Nackte Fakten, die mich zu einem grundlegenden Gedankenloop über das Geld und dessen Wichtigkeit veranlassen. Der Kaffee dampft in der Nacht, der Rechner fährt hoch und ich komme zu dem Schluss: Geld ist nicht wichtig (Anm. d. Psychoanalytikers: dafür sollte man dich für immer wegsperren!)

Beiße mich fest am Wörtchen Wichtig und verfange mich in einer philosophischen Überlegung, was das Wichtige wohl wichtig macht. Ich meine, ähm, zunächst sind doch alle Dinge gleich wichtig, wie auch alle Menschen gleich wertvoll sind, aber der Lauf der Zeit und die Vielfalt der Interpretationsmöglichkeiten scheidet das Eine vom Anderen. Wichtiges kristallisiert sich heraus. Das ist wie wenn du durch wasserloses Land läufst immer bergauf, bis weit jenseits des Orts, an dem alle Bäche versiegen und dich plötzlich in einem Arreal sprudelnder Rinnsäler befindest – welchem Bach folgst du? Der Beginn des Wertens ist dort wo alle Bäche versiegen.

Spreu hat mit Abschaum eines gemeinsam, sie trennt sich vom Weizen, weil sie leichter ist. Dies kann man sich physikalisch zu Nutze machen und Maschinen bauen, mit denen man das Leichte oben absondert. So funktionieren Kläranlagen und so funktionieren auch Weizentrennmaschinen.

Ich schweife ab.

Die Dinge werden besonders, weil eine Mehrheit der Menschen sie für besonders hält. Gold und Blei sind ungefähr gleich schwer, beides nicht essbar, beider Aussehen, reine Geschmacksache. Es soll Menschen geben, die die Farbe Gelb dem Grau vorziehen, andere wiederum mögen eher Grau. Rein von der Farbe und vom Gewicht könnten einem Blei und Gold also egal sein. Wenn du hundert Menschen fragst, ob sie lieber einen Barren Gold haben möchten, oder einen Barren Blei, werden sich genau hundert für Gold entscheiden. Warum nur? Weil Gold verwichtigt wurde.

Zurück zu den Gehältern: die könnten einem ja eigentlich auch egal sein. Hab nen alten Freund, der so einen komischen Spruch gesagt hat: Hauptsache, du lebst. Es war so ein mantrischer Spruch mit einem Schuss unterschwelliger Verzweiflung. Ich würde es in dem Wörtchen Demut zusammenfassen. Und Demut, das ist es, was uns allen gut anstehen würde. Jene Demut, in der die Erkenntnis liegt, dass man nicht mehr als essen, atmen, leben kann und all der Klumbatsch, mit dem wir uns so gerne schmücken – schicke Kleider, goldene Uhren, schnelle Autos, verdingte Menschen, die wir heiraten und unser Eigen nennen – ist nur Ausdruck der Hilflosigkeit, in dieser Welt nicht bestehen zu können.

Bin ich also ein Prediger der Armut und Demut, des Runterkommens vom hohen Ross?

Oder ist das die pure Vernunft?

2 Antworten auf „Abschaum schwimmt oben“

  1. Sehr genial,
    in irgendeinem der Filme, die ich in der letzten Zeit gesehen habe, war das die Erklärung dafür, warum man New York als ‚Melting Pot‘ bezeichnet: Der Abschaum schwimmt nach oben…

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