Netzwerk der Socken, Tag 1 bis 4

Vorgeschichte:

Fotografin J. streunte kürzlich beim Atelierfest durch den Garten des einsamen Gehöfts und drappierte ein paar Socken überall und allerorts,. Mal fotografierte sie sie hängend an Bohnenstangen, mal liegend auf dem Hackklotz. „Das ist ein Projekt des Künstlers L.,“ sagte sie, „zehn Tage mit Bundeswehrsocken kreativ sein und mal schauen, was dabei raus kommt. Der Phantasie sind keine Grenzen gesetzt.“

Meine Phantasie lief in engen Bahnen: Socken kauft man, trägt sie bis sie schmutzig sind, dann wäscht man sie, trägt sie erneut bis sie stinken und so weiter und so fort. Schließlich wirft man sie in den Müll oder lässt sie bei unliebsamen Bekannten unter dem Sofa liegen.

Tag 1, Sonntag, 23. September

Künstler L. auf einer Veranstaltung des Mainzer Kunstvereins getroffen. In einer stadtbekannten Kaschemme hatte er einen Stand aufgebaut, an dem er sein Projekt erläuterte. Er wirkte abgehetzt, müde und leer. Er habe die letzte Woche auf der IAA verbracht, das zehre an der Kraft. Dort hat er für einen großen chinesischen Autokonzern Socken im Akkord gestrickt, Werbegeschenke für die  Besucher der Automesse. Weiß nicht, was mich geritten hat, auch ein paar Socken zu nehmen und das Zehntage-Experiment durchzuführen.

Tag 2, Montag, 24. September

Eigentlich ein ganz normaler Morgen, wäre da nicht die Tüte mit den Socken neben meinem Bett. Mir fällt zu Socken verflixt nichts ein. Das wird nix mit den zehn Tagen. Die Idee von Fotografin J. zu wiederholen, und die Socken liegend auf dem Hackklotz zu fotografieren, oder hängend am Bohnenstrauch, macht keinen Sinn. Ich sollte sie zurückschicken.

Tag 3, Dienstag, 25. September

Ich übergieße die Socken mit Benzin, hole ein Streichholz, zünde es an, da fährt das Postauto vor. Der Post darf mich so nicht sehen, sonst weist man mich womöglich ins Irrenhaus ein oder in der Stadt kursiert schon bald das Gerücht, ich habe Schweißfüße. Schnell lösche ich das Streichholz und erzähle dem Postboten etwas von postmoderner Kunst; ein Freund habe diese Socken im Akkord auf der IAA gestrickt, zusammen mit vielen anderen chinesischen Kinderarbeitern. Garn von der Länge zweimal zum Mond und zurück haben sie innerhalb von vier Tagen verstrickt.

Tag 4, Heute, 26. September

Ich erwache aus einem Alptraum, in dem Socken die Herrschaft über die Welt erlangt haben. Ihre präzisen bösartigen Gehirne haben eine Möglichkeit gefunden im Fuß Synapsen zu bilden und den Menschen so unter Kontrolle zu bringen. Noch im Alpdruck, ziehe ich vorsorglich eine Strumphose an, die ich mir einmal für eine Fetisch-Party besorgt habe.

www.netzwerk-der-socken.net/ 

Wir brauchen mehr Egal

Letztlich – glaube ich zumindest – spielt sich die Welt im Kopf ab. Alles was uns umgibt und was wir anfassen und fühlen, sehen, hören, riechen, wird durch den mysteriösen Interpreter in unserem Schädel gejagt und dort zu so genannter Realität geformt. Aber des Einen Interpreter funktioniert oft ein bisschen anders, als der des Anderen. Bei Eingabe gleicher Ausgangswerte erhält der Eine also andere Endwerte, als der Andere. Verschiedene Menschen, verschiedene Interpretationen, verschiedene Bilder von der so genannten Realität. Das heißt: unsere Wahrnehmung ist dehnbar und das was wahr ist und uns Halt gibt, ist in Wirklichkeit flexibel und je nach Mensch anders. Deshalb verstehen wir Menschen einander nicht. Das Leben ist wie eine gut gewürzte Suppe, die dem Einen schmeckt, dem Anderen nicht.

Das Einzige Problem dieser gegeneinander verschobenen Realitäten ist, dass jeder für sich glaubt, er habe Recht. Wenn also zwei Menschen genau gegensätzliche Auffassungen von der Wirklichkeit haben, so haben sie vielleicht beide Recht?  Sagen wir mal, wir hätten vergessen, uns darauf zu einigen, dass Rot rot ist. Dann könnte für den Einen Rot gelb sein, weil er das so gelernt hat und für den Anderen könnte es blau sein.

Schwierig wird die Sache, wenn derjenige, für den Rot gelb ist glaubt, er habe recht und Rot müsse immer gelb sein. Dann tritt er in missionarischer Ignoranz einen Feldzug durch die Welt an, Allen zu lehren, Rot sei gelb.

Der Weise mag sagen: Rot ist das, was du daraus machst. Weise sein heißt, den Widerspruch zuzulassen, einen Blick über den Gartenzaun der Logik werfen, schulterzuckend durch die Welt gehen. Sie nicht verstehen. Sie nicht verstehen müssen. Die Dinge so lassen wie sie sind. Weise ruhend in einer gemäßigten Zone. Das klingt sicher ziemlich langweilig. Es heißt Waffen strecken und auf all das verzichten, was das Leben spannend macht. In die Rolle des Beobachters schlüpfen und Gott ähnlich zu werden. Mal die Zügel aus der Hand geben, den Karren fahren lassen im Vertrauen, dass er auch von selber lenkt.

Also brauchen wir mehr Egal an den Stellen, an denen das Egal möglich ist. Das schont die Nerven. Das spart Energie. Und der Mensch ruht in seiner Mitte, wohl wissend, dass die eigene Mitte nicht die Mitte Aller ist und dass selbst der Mittelpunkt aller Mitten nicht der Mittelpunkt von Allem ist. Ich glaube, das ist Toleranz.

Die Erotik des Rapsackers

Ich sitze droben beim Funkturm und schaue ins Saarland. Die Kraftwerke Bexbach und Neunkirchen stoßen weißen Dampf in die Luft, schwerbeladene Obstbäume auf dem Höcherberg, ein Prachtland. Der Rapsacker direkt bis hinüber zum Bannstein wirkt zerzaust, leere Stellen blecken vom Platzregen kurz nach der Einsaat. Von links nach rechts der Feldweg direkt vor meinen Füßen.

„Wow, diese Ruhe,“ denke ich, „so müsste es immer sein.“

Da höre ich von links ein Auto. Wer das wohl ist? Hier oben darf doch niemand fahren. Es kann eigentlich nur ein Auto mit drei nackten Frauen sein. Die Fahrerin trägt Stiefel bis zum Oberschenkel, sonst könnte sie ja das Gaspedal nicht betätigen. So ganz barfuß. Von den beiden anderen Frauen kann ich mir nichts vorstellen, weil das Auto noch so weit weg ist. Mein Pornohirn kommt nur mühsam in die Gänge. Noch klammert es sich an die langen schwarzen Stiefel und die Nacktheit. Das Motorengeräusch wird lauter. Und lauter. Und lauter. Mein Gott, schleichen die dahin! Schnecken!

Nun kann ich das Auto sehen. Ein weinroter Nissan. Gleich werden sie hier sein und stoppen und aussteigen und … das Pornohirn versagt seinen Dienst. Leise meldet sich das Vernunfthirn: „Ist doch Quatsch, warum sollten die drei nackten Frauen ausgerechnet bei dir anhalten und …?“

Dass die Geschichte mit den drei nackten Frauen überhaupt stimmt hat es anstaltslos geschluckt, das Vernunfthirn. Hehe.

Das Auto braust vorbei, verzweifelt versuche ich einen Blick ins Innere zu erhaschen, aber alle Scheiben sind angelaufen. Nass von Schweiß und den Ausdünstungen der Hemmungslosigkeit. Die fahren einfach so weiter. Tse. Miststücke.

Schon beäuge ich wieder den Rapsacker wie er ruhig und zerzaust wie eine mitgenommene Zunge ins Saarland ragt. Die kahlen Stellen sind Inseln im Leben. Da stoppt die Karre, der Rückwärtsgang springt krachend rein, naja, mit hochhackigen Stiefeln ist nicht gut schalten. Eine Ewigkeit dauert der Stoß zurück. Das Auto stoppt direkt vor meiner Nase. Jemand hat ein Herz in den Dunst an der Scheibe gemalt. Mit laufendem Motor steht die Karre. Zeit rinnt. Pornohirn läuft auf Hochtouren. Zwei Hintern kommen zum Vorschein, pressen an den Seitenscheiben. Wow, ganz wie auf dem perversen Foto von Terry Richardson.

Schon will ich aufstehen, hinübergehen, Halllloho sagen, da meldet sich mit aller Wucht der Vernunft-Schädellappen: „Das ist mal ne Story, die musst du aufschreiben, glaubt dir zwar niemand, aber schreib die mal auf, damit die lieben Leserinnen und Leser sehen, was da oben, weit draußen über den Feldern zwischen Saarland und der Pfalz so vorgeht.“

So verrinnt wertvolle Zeit, die Pornohirn hätte nutzen können, die Geschichte bis ins Exzessivste zu spinnen. Aber der Vernunftbereich ist schließlich schuld, dass diese Geschichte so enden muss. All die quälenden Bedenken: „Aus der Story kommst du doch nie wieder raus, du könntest es zwar bis zum Äußersten kommen lassen mit diesen Ausschweifungen, aber mal ehrlich, wie würdest du die Story zu Ende bringen, wenn die drei Frauen aussteigen, hm? Hm?“

Herr Irgendlink sucht das Glück

Knochenharter Weg hinunter ins Tal, zerfurcht von schweren Traktoren. Ringsum abgeerntete Felder, ein Hochsitz in der Ferne vor dunklem Waldrand. Stille liegt über dem Land, man muss es einfach lieben.

Ich stolpere, rappele mich wieder auf und als ich mich umsehe, worüber ich gestolpert bin, entdecke ich ein Hufeisen. Rostigbraun liegt es im Schmutz. Wie mag das dahin gekommen sein? Hey, Hufeisen, das bedeutet doch Glück, oder? Ich hebe es auf. Man könnte es aber auch dazu benutzen, Hufeisenwerfen zu spielen? Hmm, nee, Glück bedeutet das! Ich bin nah dran. Das Glück muss hier irgendwo sein. Vielleicht da unten am Waldrand neben der Parkbank? Besessen von dem Gedanken, dort hat jemand einen Geldkoffer liegen lassen haste ich hin. Aber neben der Parkbank liegt nur ein zerknülltes Papiertaschentuch. Mist! Außer Atem, setze ich mich auf die Bank. Vögel zwitschern. Wind rauscht in den Bäumen. Blätter fallen. Natürlich zu Boden. Ein Düsenjäger bricht die Stille. Verflixt. Irgendwo muss mein Geldkoffer doch sein. Ich stelle mir vor, dass sich mafiose Millionen darin befinden, die niemand vermissen wird. Natürlich werde ich das Geld an mich nehmen, mir eine Insel kaufen, ein schnelles Boot und einen Butler. Da hab ich keine Skrupel. Das Geld gehört mir. Schließlich hab ich das dazugehörige Hufeisen.

Dort vorne, dieser Busch sieht merkwürdig aus. Ein Fuß oder ein Arm ragen heraus. Das muss der Mafiaboss sein, den sie getötet haben, oder der Fuß oder der Arm des Mafiabosses, an dem mit Handschellen der Geldkoffer befestigt ist. Das Hufeisen in der Hand, gehe ich zu dem Busch. Tatsächlich: etwas Längliches ragt heraus. Schon bin ich beschwingt, bald bin ich reich. Ich muss nur noch den Fuß oder den Arm absägen, den Koffer nehmen und aloha Südsee … Fuß und Arm sehen aber eher hölzern aus – ein Mafiaboss mit Holzbein? Sachen gibts. Ich ziehe an dem Stock, an dem mein Geldkoffer hängt. Das Ding hängt fest, boa, muss der Geldkoffer schwer sein. Plötzlich ein Ruck, ich falle, am Stock hängt eine Wurzel, sonst nichts. Mist. Ich betrachte das Hufeisen und stelle fest, Glück muss nicht gleich Geld sein, es könnte auch Grundbesitz bedeuten. Da drüben der Bauer zum Beispiel, wie er sein Feld beackert, vielleicht, wenn ich gleich bei ihm vorbei komme, schenkt er mir sein Land? Wäre doch möglich, schließlich habe ich das Hufeisen und somit auch Glück.

Angekommen beim Bauer, biete ich ihm einen freundlichen Gruß: „Tach Bauer“

„Tach Wandersmann,“ erwidert er.

Stille. Noch mehr Stille. Der Bauer werkelt an seinem Traktor.

„Was kaputt?“

„Die Zapfwelle,“ sagt er.

„Nuja, brauchense ja nu nich mehr,“ antworte ich kühn.

„Wie kommst du darauf, ‚türlich brauche ich die noch, ich muss doch das Feld bestellen.“

Mein Herz pocht. Mannomann, das gibts doch gar nicht, soviel Glück hatte ich wirklich nicht erwartet. Erst schenkt der mir sein Land und dann arbeitet er auch noch umsonst für mich.

Froher Dinge gehe ich meines Weges und überlege, ob ich nicht noch mehr Kapital aus dem Hufeisen schlagen könnte … vielleicht, nuja, ich könnte einen  Hufeisenwerfkonzern gründen, Hufeisencasinos eröffenen, in denen Spieler ihr letztes Geld verjücken, weil sie glauben, mit Hufeisenwerfen  könne man gewinnen, diese Gimpel …